Pflegecoaching zum Thema Achtsamkeit mit Tanja Ringgenberg

Achtsamkeit ist grob gesagt eine bestimmte Form der Aufmerksamkeit. Sicher kennst du Situationen, in denen du quasi mehrere Dinge gleichzeitig machst. Zum Beispiel wenn du während des Essens eine Serie schaust und gleichzeitig auch noch Nachrichten am Handy checkst. Das ist ein gutes Beispiel für das Gegenteil von Achtsamkeit. Achtsamkeit ist somit also die Fähigkeit, seinen eigenen Fokus bewusst auf gewisse Dinge zu lenken. Zum einen können wir durch Achtsamkeit lernen, die eigenen Gefühle, Körperwahrnehmungen und Gedanken besser wahrzunehmen. Zum anderen können durch eine klare und bewusste Ausrichtung des Fokus auch unser Umfeld und was um uns geschieht, besser wahrnehmen. Achtsamkeit ist eine innere Haltung, die es uns ermöglicht der Welt und uns selbst ohne Wertungen und Voreingenommenheit zu begegnen.

Workshop Achtsamkeit Workshop Achtsamkeit

Im Rahmen von "Gsund im Merian" konnten wir gestern einige unserer Pflegepersonen sowie Physiotherapeutinnen und Therapeuten zum Thema Achtsamkeit im Berufsalltag coachen. Hierzu haben wir Tanja Ringgenberg eingeladen, die gestern in das Thema einführte. Nach diesem allgemeinen Coaching bieten wir interessierten Personen aufbauende 1:1 Coachings mit Tanja an und bilden somit eigene Achtsamkeitcoaches in der Klinik aus. Wir haben mit Tanja zum Thema Achtsamkeit ein Interview geführt.

Tanja, erzähl uns etwas für über dich und wie du zu dem Thema Achtsamkeit im Pflegealltag gekommen bist:

Während meiner Arbeit als Pflegefachfrau habe ich oft beobachtet, wie talentierte und wunderbare Pflegende den Beruf verliessen. Oft war der Grund, die Belastungen seien zu gross, die Freude am Beruf zu klein.
Dies und weitere Gründe veranlassten mich dazu, proaktiv ein Angebot zur Unterstützung für Pflegende zu erarbeiten. Ich absolvierte verschiedene Ausbildungen und startete 2022 meinen ersten Achtsamkeitskurs.

Tanja ringgenberg

Wo oder wie siehst Du das Thema Achtsamkeit im Pflegealltag?

Im Pflegeberuf sind wir gefordert, viele Situationen gleichzeitig im Überblick zu behalten. Wir sind mit den Gedanken oft schon beim nächsten Patienten oder bei der nächsten Aufgabe. So fehlt uns der Blick für das Hier und Jetzt, wo wir wertvolle und relevante Informationen für unser weiteres Handeln sehen können. Wenn wir achtsam mit uns selbst sind, können wir mit den Belastungen des Berufsalltags besser umgehen und bleiben fokussiert und mit Freude bei unserer Arbeit, finden jedoch auch die notwendige Ruhe um uns nach der Arbeit zu erholen. Auch die Patienten spüren, wenn Pflegende mit dem Kopf nicht präsent sind und es geschehen durch fehlende Achtsamkeit / Aufmerksamkeit mehr Fehler. Alle Menschen profitieren von einem achtsameren Umgang mit sich selbst und anderen. Da wir im Pflegeberuf so nahe am Leben sind, ist gerade hier die richtige innere Haltung sehr wichtig. Die Fähigkeit, die eigenen Gefühle wahrzunehmen und auch zu sehen, was die Bedürfnisse der Menschen sind welche wir begleiten, erleichtert uns nicht nur den Pflegealltag sondern auch unseren privaten Alltag.

Wie kann man Achtsamkeit lernen?

Achtsamkeit ist wie ein Muskel, den es zu trainieren gilt. Wir lernen die Achtsamkeit am besten durch eine regelmässige Achtsamkeitspraxis. Diese kann sehr vielfältig sein, hier einige Beispiele:

  • Gegenüber sich selbst

Eine einfache und bekannte Übung zur Stärkung der Selbstwahrnehmung ist der sogenannte Bodyscan. Dazu schliesst man die Augen und geht gedanklich jedes Körperteil durch und entspannt es bewusst. Man nimmt wahr, was in diesem Körperteil gerade für Empfindungen vorhanden sind. Am einfachsten startet man bei den Füssen, geht weiter zu den Unterschenkeln, Oberschenkel, Gesäss und Hüfte und so weiter bis zum Kopf.

Es gibt wunderbare geführte Meditationen auf jeglichen Plattformen wie Youtube, Spotify etc. Einfach Bodyscan Meditation eingeben und üben.

  • Gegenüber anderen

Wenn man in einem Gespräch einem anderen Menschen gegenüber sitzt, kann man sich darin üben der Gesprächspartnerin wohlwollend zuzuhören. Hierbei ist wichtig, die eigenen Gedanken und Gefühle zu beobachten. Kommen Wertungen oder Urteile ins Spiel, kann man diese weiterziehen lassen und sich wieder dem widmen, was der Mensch uns erzählt. Dies ist oft gar nicht so einfach und darf gelernt sein. Um anderen wertefrei und wohlwollend zu begegnen, hilft es, sich mit den eigenen Vorurteilen und Glaubenssätzen zu beschäftigen, je besser du dich kennst, desto besser kannst du mit anderen Menschen in Kontakt treten. Auch bei der Achtsamkeit gegenüber anderen ist es also in einem ersten Schritt wichtig, sich mit sich selbst auseinander zu setzen.

Wie funktionieren Achtsamkeitsübungen?

Obwohl wir in der Neurowissenschaft noch am Anfang stehen, konnte die Wirkung von Achtsamkeitsübungen bereits erforscht werden. So verändern sich beispielsweise durch regelmässiges Meditieren gewisse Hirnareale, es werden neue Verknüpfungen geschaffen und gewisse Gebiete des Gehirns verdichten sich. Tatsächlich ist die regelmässig praktizierte Achtsamkeit wie ein Muskeltraining für unser Gehirn. Doch auch andere Reaktionen, wie eine Verbesserung des Immunsystems, positive Auswirkungen auf das Hormonsystem und gar eine Senkung des Blutdrucks konnten bereits wissenschaftlich erwiesen werden.

Und wie kann man Achtsamkeitsübungen im Spitalalltag integrieren?

Im Spitalalltag gibt es oft Leerzeiten in denen wir auf unsere Patientinnen und Patienten, andere Fachpersonen oder Termine warten müssen. Diese Zeiten eignen sich gut für eine kurze Achtsamkeitsübung. Beim Warten vor dem Röntgen einmal bewusst die Schultern entspannen und fallen lassen, vor dem Betreten des nächsten Zimmers dreimal tief ein- und ausatmen oder vor der Kaffeemaschine einen kurzen Bodyscan üben. Es gibt viele Möglichkeiten und ich rate den Menschen in meinen Kursen immer anzuschauen, wo sie in ihrem Alltag Wartezeiten haben, diese dann statt sich zu nerven für eine kurze Achtsamkeitspraxis zu nutzen. Dies ist eine sehr einfache und doch wunderbare Art, die Achtsamkeit in den Spitalalltag mit einzubauen.